„Vollständig Verlorene Illusion“ – so lautete der poetische Name der ersten Route welche wir an diesem Tage klettern sollten. Die Unbeschwertheit der Züge genießend, ahnte ich noch nichts von dem was da kommen sollte, in weiser Voraussicht nur von eben jener Route mit ihrem prophetischen Namen angekündigt... Wir kletterten im Verlaufe des Tages noch zwei weitere Routen, bevor ich mich mit erhöhtem Pulsschlag, in einer Mischung aus Bangen und Vorfreude an mein still gehegtes Projekt für diesen Tag begeben sollte – eine Route in jenem eigentlich schmalen Wandstreifen zwischen „Privatweg“ und „Westkante“. Die Schlüsselzüge waren mir aus einem früheren „mit-Seil-von-oben-Versuch“ nicht gänzlich unbekannt – nicht wirklich sächsisch, nein, aber immerhin mindestens zwei Jahre zurück liegend dieser Versuch… Ob jenen Wissens rechnete ich auch mit Schmerzen, allerdings nur in meinem linken Mittel –oder Ringfinger, welchen hier auferlegt wird, ein wirklich sehr bescheuert geformtes Fingerloch durchzuziehen. Mein Plan ging voll auf, Finger tat weh bzw. stellte kurzzeitig seine sensorischen Dienste in Form von Gefühlstaubheit ein, jedoch konnte ich ihn bei meiner „erstmal-den-Überblick-gewinnen-Pause“ am Ring kurze Zeit später wieder zum mitmachen animieren… Die Griffe stellten sich zu meinem Erfreuen als besser als in meiner verstaubten Erinnerung behalten dar. Und schnell waren Versuch 1, 2, 3 …7, 8 gemacht, doch wollte sich mir die richtige Lösung noch nicht offenbaren… Mit jedem gescheiterten Versuch wuchs allerdings auch mein Ehrgeiz den wirklich nicht mehr fernen Zielgriff endlich auch festzuhalten; die Tatsache, dass es für meine Sicherungsfrau an dieser Stelle nicht wirklich leicht war mich vernünftig zu sichern, vollkommen ignorierend… Natürlich hatte Fortuna die ganze Zeit auf diese günstigste sich darbietende Gelegenheit gewartet, und so kam es wie es...usw. – ich war der Meinung die Lösung zu haben, konnte den Griff aber immer noch nicht halten, stürzte erneut und prallte mit dem rechten Sprunggelenk so blöd an den Fels, dass ich noch dieses äußerst hässliche Geräusch vernehmen konnte, bevor der stechende Schmerz sich kund tat. – Aus und vorbei, jegliche Illusion verloren… An dieser Stelle könnte dieser kleine Kommentar enden, soll er aber noch nicht. Die vorläufige Diagnose lautet: „Verdacht auf Talusfraktur“ – ob der sich bestätigt wird sich zeigen… Doch das für mich Entscheidende an diesem Tage war, dass durch dieses zwar ärgerliche aber eigentlich nicht weiter dramatische Missgeschick, mein Kopf recht abrupt und plötzlich aus dem so angenehmen Sand gezogen wurde. Denn das ist das Klettern irgendwie auch immer wieder gewesen – eine Fluchtmöglichkeit, eine Fluchtmöglichkeit vor dem Alltag, den Wirren des Lebens und Allem was unangenehm ist. Dass dies natürlich nicht dauerhaft der status quo sein kann, hat sich an dieser Stelle recht barsch gezeigt. Und doch bin ich froh darüber dass an dieser Stelle diese – meine Illusion verloren gegangen ist. Weder das Klettern, noch alles andere was das Leben lebenswert macht, haben es verdient nicht mit 100%iger Aufmerkamsamkeit behandelt zu werden. Und es klingt doch gut – in allen Lebensbereichen mit der nötigen Präsenz zu gegen zu sein, keine Flucht mehr, nur noch Freude im Hier und Jetzt – auf das auch was einem lieb und teuer ist noch mehr an Qualität gewinnt!