Freitag, 6. April 2012

Den Winter zu verabschieden...

noch etwas winterliches - möge es die Motivation bis zum Mal, wenn das Thermometer dauerhaft die 0°C unterschreitet, hoch halten...


Mixed emotions
– Freud und Leid der Anderen –



Zwei winzige Lichtpunkte, mehr kann man nicht sehen. Ab und zu sieht man einen weißlich schimmernden, sich an der gewaltigen Mauer aus Eis in die Länge ziehenden  und schlussendlich im Nichts verlierenden Stirnlampenkegel. Dann wieder minutenlang gar nichts. Und man fragt sich ob die Beiden noch da sind. Gespenstisch das Ganze.
Eine Begehung der Upper Weeping Wall – der Traum eines jeden Eiskletterers – ein Traum den zu erfüllen es mehr bedarf als durchschnittlicher Fähigkeiten im Eis. Die Beiden dort oben haben ihr sich erfüllt, fast, denn noch sind die nicht unten.
Wir beobachten die Seilschaft der zwei schon den ganzen Nachmittag, seit wir sie, beeindruckt von der Tatsache das jemand die ´Teardrop´-Variante klettert, weit oben entdeckt haben. Während der ganzen Zeit die wir sie jetzt schon vor Augen haben – das Ganze rangiert in der dem Zuschauer dargebotenen Spannung nur unwesentlich hinter einem Elfmeterschießen bei einem Endspiel der Fußballweltmeisterschaft – ist deutlich zu spüren dass die Beiden wohl am Anschlag klettern und es sich nicht leicht machen die optimale Linie zu finden. Man kann es ihnen auch kaum verdenken, es ist schließlich verdammt schwer, die Eisqualität dort oben scheint auch nicht die Beste zu sein und ein paar Meter haben sie auch schon hinter sich.
Zu Beginn, als wir sie gerade erst erspäht hatten, kletterten sie noch in der prallen Nachmittagssonne, bzw. dem was man so nennt bei wechselnder Bewölkung. Zwischenzeitlich dann haben wir sie komplett aus den Augen verloren. Trotzdem unsere Blicke immer wieder von jener unnahbar anmutenden Eiskaskade, oberhalb der schon recht imposanten Lower Weeping Wall, angezogen wurden, konnten wir sie nicht entdecken.  Zuerst dachten wir sie hätten abgebrochen und waren gespannt zu sehen wo sie denn nun abseilen würden, aber irgendwann, die Wand lag schon seit geraumer Zeit im Schatten und die Sonne gedachte gerade sich hinter einem der malerischen Berge vom Tage zu verabschieden, hörte man wieder Stimmen. Mich erfüllte dies mit einer stllen Freude, denn auch wenn sie nicht einfach hätten verschwunden sein können, fühlte es sich gut an zu hören dass sie noch da waren und es ihnen gut ging. Insbesondere da sie sich nicht einfach nur unterhielten, sondern aus voller Brust sangen, sie sich gegenseitig für die finalen Meter anpeitschten und ihren Emotionen freien Lauf ließen. Ich musste unmittelbar grinsen, konnte ich mir doch gut vorstellen wie sie sich jetzt fühlten, die Adrenalin- und Endorphinpumpe auf Hochtouren, die letzten Reserven mobilisiert und den inneren Rock´n Roll voll aufgedreht…
Und schon sah man sie auch schon wieder. Sie hatten links des Hauptfalles geschickt eine Eishöhle genutzt um Stand zu machen, zu pausieren und sich vor dem nicht ausbleibenden Eisschlag zu schützen. Gerade querte derjenige der beiden der nun das scharfe Ende übernommen hatte aus dem schützenden Unterschlupf heraus um sich den letzten steilen Metern zu stellen. Sie waren mittlerweile, bei dem was hinter ihnen lag war dies mehr als nachvollziehbar, ziemlich langsam, so dass der Nachsteiger die ihm bevorstehenden Meter schon im Scheine der Stirnlampe zurücklegen musste. Als er nach einer, gemessen an den Maßstäben des Beobachters, gefühlten Ewigkeit zu seinem Vorsteiger aufgeschlossen hatte, war es vollends dunkel. Die Tatsache, dass die Beiden soeben eine der anspruchsvollsten und beeindruckendsten Eisklettereien der Rockies, wenn nicht gar weltweit, hinter sich gebracht hatten ließ mir keine Ruhe. Dies und der Fakt das damit allerdings erst die halbe Wahrheit gesagt war, denn eine nicht minder anspruchsvolle Abseilodyssee im vollsten Dunkel der Nacht lag noch vor ihnen, beschäftigte mich in dem Maße in dem die Beiden versuchten eine geeignete Abseilstelle zu finden um so schnell wie möglich in die Sicherheit und Geborgenheit des so nahen und doch so fernen Wandfußes zu gelangen.
Es bedurfte keines Übermaßes an Empathie, das Wechselbad aus überschäumender Freude und lähmender Angst zu verspüren, welche beide von ihnen jetzt wohl empfinden mussten. Oder wären das nur meine Gefühle gewesen und waren die Jungs da oben vollkommen abgebrüht und selbstsicher!? So oder so, es dauerte eine ganze Weile bis sie die richtige Stelle zum Abseilen gefunden hatten. – Natürlich, der Schnee dort oben liegt hoch und mit großer Wahrscheinlichkeit markieren einem keine Spuren zum richtigen Baum den Weg, wie dies im Unteren Wandteil der Fall gewesen wäre, wo damit der Beginn einer bequemen Abseilpiste mit schicken neuen Kettenständen erreicht wäre. Irgendwann sah man einen winzigen Lichtpunkt langsam nach unten gleiten, alsbald jedoch, nach geschätzt nicht einmal einer halben Abseillänge, inne halten und verharren. Was war los? Suchten sie einen vorhandenen Abseilstand, den sie auf dem Weg hinauf gesehen oder vorbereitet hatten und fanden ihn nicht? Waren sie gezwungen aus der Abseile heraus selber etwas einzurichten, wofür sich das Eis jetzt da es soweit war als zu schlecht erwies? Meine Verwirrung stieg weiter als sich der Lichtkegel wieder langsam aber stetig nach oben bewegte. Die wahrscheinlichste Erklärung die ich mir ausmalen konnte war, dass ihre Seile, wassergetränkt und mittlerweile nach rapidem Temperaturrückgang steifgefroren und vereist, ihnen einen unlösbaren Fitz beschert hatten.
Die Vorstellung jetzt dort zu hängen, knapp dreihundert Meter über dem rettenden Talboden und einsehen zu müssen, dass es wohl oder übel nicht weiter geht, dass nach all dem Schweiß und Blut die der Aufstieg gefordert hatte, keine Belohnung in Form eines guten Schluckes Single Malt und einer Siegeszigarette wartete, sondern weitere Stunden der Ungewissheit, des Hungers und der Kälte, war nicht wirklich berauschend. Und doch konnten die Beiden, so gern sie es vielleicht auch getan hätten, ihrer Realität nicht entfliehen. Irgendwann waren die beiden weißen Punkte wieder auf gleicher Höhe und das Schauspiel begann von vorne.
In Beschlag genommen von unserer Realität, verloren wir sie abermals aus den Augen, konnten jedoch, als wir etwas  später wieder einen Blick hinauf riskierten, mit Erleichterung feststellen, dass sie die Hürde der Talfahrt die Upper Weeping Wall hinab, genommen hatten und somit das Schwierigste hinter sich hatten. Wohl wissend das die untere Hälfte, eine neu eingerichtete und bequeme Abseilstrecke hinab, offenbarte. Doch entweder wussten sie nichts von dieser oder die Dunkelheit erschwerte das Auffinden des Ausgangspunktes zu den finalen Abseilmetern erneut in gehörigem Maße, jedenfalls sah man auch in dieser, die beiden Wandteile voneinander trennenden riesigen Schneerampe, zwei suchende Lichtpunkte hin und her irren. Wenn man nicht wüsste, dass es einem ganz genauso gehen könnte, hätte die unglückliche Verkettung von Umständen mit welchen die Jungs zu kämpfen hatten, fast etwas komisches gehabt.
Man hätte meinen können, dass es mit dem schlussendlichen Auffinden der neu eingerichteten und recht eindeutigen Abseilpiste, unmittelbar rechts der Right-Hand-Variante, endlich gelaufen gewesen wäre. Dem war natürlich nicht so. So schienen die Beiden  große Probleme zu haben,  in der Schwärze der Nacht und vor dem jegliche Helligkeit schluckenden dunklem Gestein, die neu angebrachten Kettenstände zu lokalisieren. So sehr, dass sie den allerletzten der Stände, den der sie schließlich zurück zu dem Punkte an dem alles begann, zu ihren Rucksäcken und dem wärmenden Inhalt einer Thermoskanne befördert hätte, gar nicht mehr fanden. Auch wenn nach einer vollen Abseillänge von 55 Metern direkt in Falllinie des vorherigen Standes gelegen, fanden sie ihn nicht und mussten schlussendlich nach links ins Eis pendeln, um dort ein letztes Mal selber etwas herzurichten.
Die Erleichterung welche die Beiden verspürt haben müssen, als sie kurz nach 21.00 Uhr dann zu guter Letzt wieder neben ihren Rucksäcken am Einstieg standen, muss immens gewesen sein. Ich beglückwünschte sie in Gedanken und war zugegebener Maßen auch ein wenig neidisch, denn was die Jungs da erlebt haben, muss von einer Intensität gewesen sein, dass sie sich ihr Leben lang an jedes einzelne Bild und jede Emotion erinnern werden. Gleichermaßen weiß ich, dass, indem ich dieser Odyssee als Zuschauer beiwohnen durfte, der Nährboden für einen Traum geebnet wurde, welcher heranwachsen wird, bis ich selber eines Tages jene Bilder unmittelbar vor Augen haben werde und die volle Intensität jener Emotionen erfahren darf.